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Startup: Lablicate

Erfolgreich in der chemischen Analytik

Das Unternehmen von Philip Wenig ermöglicht eine automatisierte Auswertung und Aufbereitung von Messdaten. Bei der anwenderfreundlichen Umsetzung der Lösungen setzt Lablicate vorrangig auf ein Java-Umfeld und bedient sich neuester Open-Source-Technologien sowie agiler Entwicklungsmethoden. Neben kundenindividuellen Ansätzen bietet man mit der eigenen seit Anfang 2010 frei verfügbaren Open-Source-Software „OpenChrom®“ ein „ausgezeichnetes“ Analysetool (1. Platz „Eclipse Community Award Winner“) für die Chromatographie und Massenspektrometrie – zwei weit verbreitete und vielseitige Messmethoden in der chemischen Analytik.

 

Philip, Deine Geschäftsidee dreht sich um Chemie und Technik, eine spezielle Kombination: Wie würdest Du einem alten Bekannten Dein Unternehmen erklären?

Ich würde fragen, ob er beispielsweise eine dieser CSI-Krimi-Serien schaut. Dort werden oft entnommene Proben in einer Apparatur elektronisch analysiert. Wir entwickeln die Software hierfür. Diese kann jedoch nicht nur in der Forensik eingesetzt werden.

Das sieht in der Serie oft erstaunlich einfach und bedienerfreundlich aus…

Das Problem ist: Es ist natürlich nicht so simpel, wie im Fernsehen suggeriert wird. Vieles findet zudem in der Lebensmittelanalytik statt: In Hamburg werden beispielsweise mit dieser Technik Lebensmittel stichprobenartig überprüft, ob bestimmte Grenzwerte, etwa von Pestiziden, eingehalten wurden.  Oder ob dort Substanzen vorhanden sind, die da nichts zu suchen haben. Diese Daten werden unter anderem mit Massenspektrometern gemessen und aufgenommen. Wir machen Software für die Auswertung dieser Daten.

Könnt Ihr in der Textilbranche ebenfalls bei der Qualitätskontrolle unterstützen?

Bleiben wir weiter gedanklich bei der Warenkontrolle für ein Beispiel in der Qualitätskontrolle der Textilbranche: Ein Chinesischer Hersteller garantiert 100 Prozent Baumwolle. Du bekommst die Ware. Wie willst Du feststellen, ob das reine Baumwolle ist oder nicht? Du könntest ein Shirt verbrennen, dann riechst Du, ob das Baumwolle ist. Dann ist das Shirt jedoch zerstört. Hier bietet sich die Analytische Pyrolyse an: Du entnimmst eine repräsentative Probe, einige hundert Mikrogramm reichen vollkommen aus, vereinheitlichst diese und misst sie. Anhand des Datenmusters, was nach dieser Chromatographie und Massenspektrometrie entsteht, kann man sehr genau sagen, welche Stoffe hier vorhanden sind, was eine ausgezeichnete Qualitätskontrolle ermöglicht. Das Schöne dabei ist, dass das T-Shirt nicht zerstört wird.

In der Papierindustrie hat unsere Technik ebenfalls geholfen: Schwarze Punkte auf einem bestimmten Papier führten zu massiven Problemen beim Druck. Anhand unseres Pyrolyse-GC/MS konnten wir unserem Auftraggeber gegenüber nachweisen, dass das Klebetiketten waren, die das Problem ausgelöst haben.

Die Grundlage Deiner Geschäftsidee war Deine wissenschaftliche Arbeit…

Der eigentliche Hintergrund ist eigentlich meine Faulheit gewesen! (lacht)

Ich habe 2004 angefangen, als Teil meines Studiums, zunehmend in den Bereich der Analytik zu gehen. Chemie war immer schon mein Ding: Ich war damals der Einzige in der Schule, der einen Chemie-Leistungskurs haben wollte. Die Komponenten Chemie und Computer miteinander zu verbinden, das hat mich dann ungemein gereizt. Deshalb mein Studienthema Analytische Pyrolyse. Angefangen habe ich mit Datenauswertung. Es gibt weltweit eine Handvoll große Hersteller von entsprechenden Systemen. Das Problem ist: Die speichern alle ihre Daten proprietär. Das heißt, du kommst da ohne weiteres nicht ran. Du musst also mit der Software des Herstellers arbeiten. Aber eine Auswertung dauerte eine Woche bis anderthalb. Das ist natürlich viel zu langsam für die Industrie!  Und da ich ja eben die Faulheit erwähnt hatte: Ich habe keinen Bock den ganzen Kram per Hand zu machen. Dann machst Du einmal in der Woche eine Auswertung. Dann bemerkst Du einen Fehler und musst wieder von vorne anfangen. Weil es manuell ist. Da habe ich mir gedacht: Das musst Du automatisieren! Da ich schon immer gerne programmiert habe, habe ich mir das Datenformat des Herstellers angesehen. Dann kam ich an die Rohdaten ran und dachte mir: Wenn ich die lesen kann, dann kann ich auch gleich meine Skripte drumherumbauen. So ist die Basis unserer Firma entstanden. Unsere Software haben wir damals Open Source gesetzt. 

Wieso Open-Source?

Die Software, die ich vom Hersteller nutzen musste, ist wie gesagt proprietär. Zudem wurde sie einmal entwickelt und nie wieder überarbeitet oder ergänzt. Die Hersteller machen verständlicherweise eben nur das, was eben notwendig ist. Gerade im Bereich, der sehr speziell ist und wo du ein Oligopol hast, wo es eh nicht den harten Wettbewerb wie im Consumerbereich gibt, da bleibt der Kunde auf der Strecke. Die Software war gut für ihre Zeit, aber in dieser Form konnte sie nicht weiterhelfen. 

Ich habe es Open Source gesetzt, weil es so viele smarte Wissenschaftler gibt, die sich immer wieder mit diesen Themen auseinandersetzen und sich am Ende ebenfalls fragen: Wie komme ich an meine Daten ran? Deshalb habe ich meine Software freigegeben, sie können sie nutzen und darauf aufbauen. Damals war ich noch so naiv und dachte das würde das Linux der Chromatographie. So war es dann zwar nicht, aber Kollaboration macht einfach viel mehr Spaß, als in seinem kleinen Süppchen nach einer Lösung zu suchen.

Das Thema Chromatographie und Datenauswertung fand ich auch nach meiner Doktorarbeit viel zu interessant, als dass ich etwas Anderes machen wollte. Deshalb habe ich das Thema nach meiner Diplomarbeit und Doktorarbeit weiterverfolgt. Gemeinsam mit meinem Projektpartner konnte ich während der Dissertation nachweisen, dass eine Identifizierung von Substanzen mittels Peakmusteranalyse unter Verwendung der analytischen Pyrolyse, gekoppelt mit Gaschromatographie und Massenspektrometrie (Py-GC/MS) funktioniert.

Welche Unterstützung habt ihr für euer Projekt bekommen?

Bei unserem EXIST-Antrag haben Nadine Weitendorf und Barbara Lederer von der Universität Hamburg uns hervorragend unterstützt. Von der Tutech-Seite her haben uns Thomas Sperling und Nils Neumann klasse angeleitet: Man hat den Kopf voll Studium und Geschäftsidee und dann steht man da vor dem riesigen Jungel der Startup-Unterstützung. Wir wussten überhaupt nicht, wo wir anfangen sollten. Oder was welche Tragweite hat. Beide Teams haben uns da toll beraten.

Wie hat damals – vor beyourpilot und der gemeinsamen Partnerschaft – die Zusammenarbeit von Tutech und der Universität Hamburg funktioniert?

Vorher haben die Parteien sich regelmäßig informell ausgetauscht was uns anging. Mittlerweile läuft das offiziell. Die haben natürlich unterschiedliche Bereiche bearbeitet: Tutech eher den Antragsbereich, die Universität Hamburg hat geklärt, wie das mit dem Abrufen der Mittel an Besten funktioniert.

Welche Mittel habt ihr erhalten?

Bei EXIST bekommst Du einen Büroplatz gestellt sowie Sachmittel. Das waren damals etwa 18.000 Euro, die wir für Laptops und Drucker ausgegeben haben. Und ein Jahr lang Stipendium, das heißt EXIST 1. EXIST 2 gibt es auch noch, das läuft dann über drei Jahre und hat ein größeres Budget. Wir haben also ein Jahr lang Büro gespielt. (lacht)

Dann braucht man ja auch die richtigen Mitarbeiter: Wo nehmt ihr die Kompetenz für euer spezielles Thema her?

Das ist eine große Herausforderung. Ich bin Wissenschaftler und kein Personaler. Ich kann in die Menschen nicht hineinschauen, deswegen habe ich auch hartes Lehrgeld bezahlt. 

Leute zu finden, die Programmieren können und eine Ahnung von Chemie haben ist unglaublich schwierig. Aber da hat uns Open Source in die Hände gespielt. Denn mit Open Source drehe ich das Innovationsdilemma um: Das heißt, ich gebe unsere Arbeit frei, die Leute spielen damit rum, und diejenigen, die sich dabei gut anstellen, die kann ich immer noch einstellen. Ich verliere also nichts dabei. Auf diesem Wege haben wir Mitarbeiter gefunden, auch wenn ich mir zugegebenermaßen hier etwas mehr erwartet hatte. Aber das ist ein sehr komplexer Bereich.

Wie waren eure Erfahrungen mit Mitarbeitern?

Wir hatten beispielsweise mal einen Mitarbeiter, der während des Homeoffice Bewerbungsgespräche geführt hat. Das hat schließlich zu seiner Kündigung und zu einer negativen Beurteilung seinerseits uns gegenüber als Arbeitgeber geführt. Aber ich muss halt darauf achten, dass das Geld am Ende des Monats reinkommt, und wenn jemand hierbei nicht hilfreich genug ist, dann muss ich natürlich die Konsequenz daraus ziehen. Ich will Verbindlichkeit: Wenn du sagst, Du übernimmst eine Aufgabe, dann machst du diese auch fertig. Wenn Probleme entstehen, reden wir darüber. Wenn du das aber viel zu spät kommunizierst, haben wir ein Problem. Ich habe in dem genannten Fall dann mit viel Aufwand dem Kunden eine Lösung präsentieren können und wir haben jemand Neues eingestellt. Meine Personalerfähigkeiten sind also ausbaufähig.

Du bist ja auch nicht als Personaler „ins Spiel gegangen“, sondern als Wissenschaftler. Und für eine Personalabteilung fehlt euch natürlich noch die Größe…zumal euer fachliches Gebiet bestimmt derart speziell ist, dass Du diese Entscheidung eben nicht mal eben „outsourcen“ könntest!

Definitiv. Und das ist auch meine Grundeinstellung als Unternehmer: Ich bin verantwortlich! Ich habe beispielsweise einen Steuerberater, der macht einen exzellenten Job. Ich kann ihn jederzeit Dinge fragen, die er mir dann erklärt. Ich muss die Kernpunkte verstehen, denn die Entscheidungen liegen bei mir. Das gleiche gilt auch für unsere Anwälte et cetera…die kosten alle viel Geld, sind richtig gut, aber ich muss denen sagen, wie ich es haben will und die finale Entscheidung liegt bei mir.

Schläft man besser, wenn man Buchhalter und Anwälte beschäftigt?

Als Unternehmer schläft man sowieso nie gut! Das ist so eine Kontrollsache…es geht nun mal um’s Geldverdienen. Sonst war alles umsonst. Es gibt so verschiedene Sorge-Phasen, die man durchlebt. Erst haben wir eine Idee. Dann haben wir einen Kunden – deswegen kann man nun nicht mehr sagen „mal gucken, ob’s klappt“. Kein „trial and error“ mehr. Allerdings, wenn Du mit Kunden richtig kommunizierst, verzeihen sie Dir unter Umständen auch Deine Fehler. Du musst aber gute Arbeit verrichten und vor allem verbindlich sein. Das ist halt nicht mehr so spielerisch wie in der universitären Anfangsphase. Die wünsche ich mir manchmal zurück! (lacht) Aber du darfst halt nicht eben diesen besonderen Spirit verlieren, der fördert deine Innovation. Auch wenn das Geld dir später zunehmend den Schlaf raubt.

Was lindert hier Angst und Sorgen?

Es gibt beispielsweise ein schönes Buch: „In Search of Stupidity: Over Twenty Years of High Tech Marketing Disasters“. Das beschäftigt sich mit all den Fehlern großer Unternehmen wie etwa IBM und anderer. Da wird oft ein Chaos sondergleichen beschrieben, welches manche überleben und andere eben nicht. Das würde ich jedem Gründer empfehlen, Weil das einem die Angst nimmt, man müsse alles perfekt machen. Denn das ist einfach nicht möglich. Ein guter Freund hat mir mal gesagt: Das Wichtigste ist, dass Du weniger Fehler als Deine Mitbewerber machst. 

Eine positive Interpretation.

Eben! Denn Fehler machst Du sowieso! Außerdem: Auch wenn ich hier von der Angst vor Fehlern erzähle und den fehlende Schlaf anprangere, so lass mich noch positiv erwähnen, dass man das alles ja für sich selber macht! Das ist eine ganz andere Motivation, als wenn Du es für ein Unternehmen oder einen Chef machst. Du hast Dein eigenes Schicksal in der Hand. Mit all seinen positiven und negativen Risiken. Du bist immer auf den Zehenspitzen und musst bedacht vorgehen…aber es geht um dich: Was könnte dich mehr motivieren!

Seid ihr momentan gut aufgestellt? Wie seht ihr eure Zukunft?

Wir sind momentan gut aufgestellt. Wir haben gelernt, in diesem Chemie-Bereich – was in andern anderen Bereichen schon länger gang und gebe ist – Open Source und Business zusammenzubringen. Somit haben wir eine gute Nische gefunden. Die nächsten fünf Jahre bauen wir nun unser Geschäft aus. Wir haben viele Kontakte. Wir haben gute Rückmeldungen. Wir haben Kunden, die uns über Wasser halten. Aber ich muss das Geschäft ausbauen. Momentan sind wir 7 Leute. Wir können keine großen Gehälter zahlen, aber wir sind flexibel. Wir bieten interessante Jobs. In den nächsten drei bis fünf Jahren auf 15 Mitarbeiter kommen. Was ich aber auch ganz klar sehe: Ich bin Technologe! Ich bin kein BWLer. Ich kann hier bis zu einem gewissen Niveau dazulernen, aber noch lange keine Millionen für irgendwelche Steuervorteile hin und herschieben. Da muss ich in Zukunft jemanden einstellen. Oder wir werden in fünf Jahren von einem neutralen Hersteller aufgekauft. Jedoch unter der Prämisse, dass die Open Source verstehen und wir zudem weiterhin verschiedene Kunden bedienen können. Das ist die Voraussetzung. 

Venture-Capital habe ich bewusst nicht aufgenommen, weil wir einen Markt entwickeln, der nicht ganz klar ist. Anfangs verschafft das eine gewisse Handlungsfreiheit, aber nach drei Jahren nerven die dich wegen der Rendite. Nach Finanzierungsrunde B und C verlierst Du dann irgendwann Deine Firma. Deswegen erarbeiten wir uns das selber. Langwieriger, schwieriger und natürlich mit deutlich schlechterem Schlaf verbunden. Aber so können wir einen Markt entwickeln, der es in sich hat. Vielleicht scheitern wir auch. Wissen wir nicht. Aber das ist Unternehmertum.

Wie ergiebig ist deine Nische? Gibt es für Deine Firma viel zu entdecken?

Der Bedarf ist immens in diesem Bereich. Aber ich bin jetzt auch nicht unbedingt Idealist: Ich möchte mein Geld damit verdienen! Ich zahle keine Rente ein, habe kein Arbeitslosengeld: Ich muss also auch sehen, wo ich bleibe. Wenn das Unternehmen floppt, dann habe ich keine Absicherung. Es muss sich also lohnen. Sonst würde ich es nicht machen. Denn Du hast auch Verantwortung für dich und deine Familie.

Wie verändert sich deine Verantwortung im Laufe der Zeit?

Ich werde mich weiter vom Programmieren entfernen und zunehmend in die Vertraglichkeiten involviert. Um genau zu wissen, wie ich Open Source mit Business verbinden kann. Das ist unglaublich wichtig, um die Community aufzubauen, und das Geschäft drumherum zu gestalten. Später, wenn alles gut läuft, und ich irgendwann raus bin, würde ich mir gerne einen Foodtruck kaufen. Brot ist meine Leidenschaft. Wasser, Mehl, Salz, Sauerteig oder Hefe…mehr braucht es nicht. Das würde ich auf Festivals verkaufen, dazu ‘nen Schnapps und nett mit den Leuten schnacken… Nichts tun wäre nichts für mich.

Was ist dein Tipp für junge Unternehmer?

Wenn ihr Bock darauf habt, macht es! Die Erfahrung, die ihr dabei sammelt, könnt ihr nicht kaufen! Lernt dazu, nehmt die Einflüsse auf. Fokussiert euch dabei auch auf den Kunden: Was braucht er? Wie machen wir ihm unsere Leistung schmackhaft? Wie kommt das Geld rein? Es gibt da diverse Modelle und es ist ein Prozess…bei dem man sich manchmal wünscht, wieder Angestellter zu sein! (lacht)

Weitere Infos

Website: lablicate.com

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